[Geschichte eines Virencoders] - Evrim Sen

  • Freier Auszug von Evrim Sven.

    Es gibt gute Virenprogrammierer, die Sicherheitslücken aufdecken und Programme zur Erforschung derselbigen entwickeln. Aber es gibt auch die »Bösen Jungs«, die die Programme von diesen Leuten nehmen und als zerstörerische Viren in Umlauf bringen...


    Martin F. kann sich da nicht ganz einordnen. Er will sich nicht so recht eingestehen, zu den »Bösen Jungs« zu gehören, die Viren von anderen Programmierern nehmen. Das ist ihm zu anspruchslos...
    Martin F. gehört tatsächlich zu denjenigen illustren Personen, die einen gefährlichen Virus selbst programmieren können und diese Fähigkeit auch umsetzen. »Dann bin ich wohl eher ein ganz Böser«, meint er höhnisch. Er ist stolz auf seinen neuen Virus, den er gerade zu Ende programmiert hat. »Ich wollte schon immer mal Viren programmieren, um es den Leuten mal so richtig zu zeigen«, gibt er zu.
    Martin F. ist ein altes Mitglied der Crackerszene, die in den 80er Jahren den Kopierschutz der Software entfernten. Mit seinen hellblonden Haaren, dem spärlichen, hellen Bartwuchs und seiner Brille macht er eher den Eindruck eines immer noch nicht erwachsen gewordenen, 18-jährigen Teenagers. »Ich bin schon 30, einer der ersten Stunde«, gibt er mit geschwelgter Brust preis.
    In seiner Wohnung hat er zwei Arbeitszimmer. Überall stehen unzählige Computer und Hardwareteile verstreut herum. Ein Server und mehrere Hubs verteilen seine Drei-Megabit-Standleitung auf seine vernetzten Rechner um die ganze Wohnung. Zwei alte Amiga 500er und einen Commodore 64 hat er noch aufbewahrt: »Die Dinger würde ich nie verkaufen.«



    In der gesamten Wohnung ist kein Telefon zu sehen, trotz des allüberall herrschenden Hightechs. Sein einziges Kommunikationsgerät ist sein Handy, das er ständig bei sich trägt. Mit seinem Laptop ist er auch, wenn er mal nicht in seinem Hausbüro ist, in der Lage, sich ins Netz einzuklinken. An seinem Hauptrechner sind zwei Flachbildschirm-Monitore gleichzeitig angeschlossen: »Standardausrüstung.« An weiteren Rechnern laufen irgendwelche Zahlen, die den IP-Traffic, den Fluss von Informationen im Netzwerk, anzeigen. Für eine Freundin hat er keine Zeit. Die meisten seiner Freunde kennt er meist nur aus dem Chat.
    Früher hat er sich noch mit Assembler-Routinen beschäftigt. Die sogenannte Maschinensprache war Programmieren auf höchster Ebene. »Heute nennen sie selbst HTML oder PHP eine Programmiersprache. Das ist alles Kinderkram«, spottet er übermütig. Im Alter von zwölf Jahren hat er erste Kontakte zu der legendären Crackerszene gehabt. Während dieser Zeit in etwa hatten sich Gruppen gebildet, die sich zu der »Scene« zählten. »Wir crackten Spiele ohne Ende.« Die Gruppe, der Martin angehörte, hatte sich damals, wie viele andere Szene Gruppen, zum Ziel gemacht, Programme um den Kopierschutz zu bringen. Auf diese Weise verteilte sich die Raubkopie innerhalb weniger Tage um die ganze Welt. Nur die Software von Firmen, die ihre Spiele mit Kopierschutz versahen, wurden logischerweise gecrackt und verteilt. Eine kommerzielle Absicht stand nicht dahinter. Ironie des Schicksals: Diese Softwarefirmen gehören heute zu den bekanntesten und wirtschaftsstärksten der Welt. Vielleicht war es gerade die starke Raubkopien-Verbreitung, die diesen Unternehmen einen bekannten Namen verschaffte.



    Auf die Frage, ob sie den Softwarefirmen eher eins auswischen wollten, weiß Martin keine behaftete Antwort. »Wir haben einfach gecrackt, weil es uns Spaß gemacht hat. Vielleicht haben wir uns sogar eingeredet, dass die es verdient haben.« Im Vordergrund eines jeden Crackers stand, eine Software möglichst schnell mit dem eigenen Gruppennamen zu versehen und zu verteilen, um den damit verbundenen Ruhm zu ernten. »Respekt wurde in der Szene ganz groß geschrieben.«
    Doch diese Zeiten sind heute für Martin F. vorbei. Cracken befriedigt ihn lange nicht mehr. »Mittlerweile gibt es so viele Cracker-Gruppen, da fehlt einfach der nötige Kick.« Vom Softwareberater einer renommierten Firma könnte man nur schwerlich erahnen, welches Hobby er heute pflegt, nämlich Viren schreiben. Ein Überbleibsel alter Zeit ist somit in ihm deutlich zu erkennen, denn Respekt ist etwas, was Martin heute vermisst. Das ist etwas, das ihm heute noch wichtig ist, auch wenn er dabei anonym bleibt. Wieder einmal im Mittelpunkt stehen und wissen, was man kann und dass man etwas bewegt, auch wenn man dabei aus dem Hintergrund heraus beobachtet. Ob sich Martin von seinem überaus gut bezahlten Job trennen möchte, das steht nicht zur Diskussion. Noch ist ihm das Leben zu bequem, denn »die Bezahlung stimmt.« Wenn es um die Programmierung von Viren geht, hat Martin keine bestimmten Ziele. »Ich programmiere sie einfach aus Spaß.« Eine politische Motivation, gerade hinsichtlich der gegenwärtigen Geschehnisse, steht für ihn ebenfalls nicht zur Debatte.



    Wenn das Handy klingelt und der Job sich meldet, ist Martin seriös und redegewandt. Mit vertrauensvollen Instruktionen weiß er sofort und stets um eine Lösung. »Das eine ist mein Job, das andere ist eher etwas Rumspielerei.« Dass es in Wirklichkeit eine Flucht aus seiner Unzufriedenheit ist, das will Martin noch nicht richtig begreifen. Die Spielerei um Viren hat heute jedoch ernstzunehmenden Charakter. Ganze Systeme werden in Mitleidenschaft gezogen, Unternehmen und Einzelpersonen müssen mit Datenverlusten rechnen. Kommt das Gesetz dem Virenprogrammierer auf die Schliche, steht der Programmierer solcher Viren harten Gesetzessprechern gegenüber. Die Strafen fallen heute weitgehend härter aus als früher. Aber das sind nicht die Dinge, die Martin beunruhigen. Womöglich ist es eine Art Frust gegenüber der neuen Informationsgesellschaft. Wau Holland, der ehemalige Alterspräsident vom Chaos Computer Club hatte bereits auf die Probleme der Informationsgesellschaft aufmerksam gemacht. Vor allem soziale Einsamkeit und fehlende Anerkennung sind Motivationsfaktoren für viele Angriffe von Hackern. Martins Lebenseinstellung scheint hier sprichwörtlich wie die Faust auf das Auge zu passen.

    An den Gesprächen merkt man, dass Martin sich in dieser computerisierten Gesellschaft als ehemaliger Computerhacker unterfordert fühlt. Ständig muss er sich mit irgendwelchen Leuten herumstreiten, wie er selbst behauptet. »Weil die es wieder einmal nicht kapieren, wie man mit dem Ding umgeht«, schimpft er, wenn er über seine Arbeit berichtet. Regelmäßig muss er von Menschen verursachte Systemfehler reparieren, fehlerhafte Systeme kontrollieren und pflegen. So, wie Martin das erzählt, ist der Job des Softwareberaters für ihn eher mit »Pflegehelfer für Datenschrott« zu umschreiben. »Damals«, sagt er etwas wehmütig, »war alles ganz anders.«


    Ein Computerfreak, oder ein »Scener«, wie sich die damaligen und heutigen Szene-Mitglieder bezeichnen, fühlte sich früher als eine elitäre Person »Freaks unter sich«, könnte man fast behaupten, eine Art Verein, dessen Fähigkeiten und Faszination von der übrigen Gesellschaft zwar nicht verstanden wurde, in dem man sich aber untereinander hervorragend ergänzte. »Man wurde in seiner Gruppe respektiert, weil die Mitglieder die Fähigkeiten des anderen zu schätzen wussten.« Im Vordergrund stand nicht die kriminelle Energie, sondern der Spaß und die Gesellschaft. Man crackte Spiele nicht zu kommerziellen Zwecken, sondern nur, um zu zeigen, dass man es schaffen konnte. Das war eine Art Wettrennen zwischen dem Kopierschutzprogrammierer und dem Cracker. Nicht selten kamen diese beiden Seiten zu einem Bier auf Computerparties zusammen - Cracker und Softwarehersteller an einem Tisch. Selbst die nutzlosesten Programme, die sich auf dem Markt nicht ansatzweise behaupten konnten, wurden hingebungsvoll gecrackt.
    Auch programmierte die »Scene« man keine Viren, um andere Systeme zu zerstören. Der erste Virus auf dem Amiga war der »SCA Virus«, der lediglich bei jeder dritten Kopie mit der Meldung »Something wonderful has happened, your Amiga is alive« (zu Deutsch: »Etwas wundervolles ist geschehen, Dein Amiga ist lebendig!«) für einen kurzen Augenblick der Verwirrung sorgte. Andere Viren sorgten dafür, dass die Systemuhr rückwärts lief oder dass merkwürdige Buchstaben quer durch den Bildschirm liefen.
    Mit seinen alten Szene-Kumpels hat Martin F. keinen Kontakt mehr. jeder scheint einen anderen Weg gegangen zu sein. »Die Szene ist tot.« Wenn Martin darüber erzählt, macht er den Eindruck eines verzweifelten Kämpfers, der seinen Stamm verloren hat. »Wer weiß,« sagt er nachdenklich, »eines Tages schreibe ich vielleicht mal ein Programm, das nützlich ist.«

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    Respect the Scene, Respect their Work !

  • Zitat

    Originally posted by Tristar^_mino_
    von wem stammt dieser Text? Ich habe ihn mit Interesse gelesen und ich hoffe er macht allen deutlich, warum solche Menschen so ein Leben leben. Ich kann ihn gut verstehen ;(

    Von den Machern von Hackerland - Interessante Lektüre, die ich hier auch mal "hochladen" werde....

    Das was man aus dem Schicksal lesen kann ist das was passiert - wenn man nicht auf die Bremse tritt .... mal abgesehen, ob auch alle "Heldentaten" stimmen mögen...:drkfc:

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    Respect the Scene, Respect their Work !

  • kommt mir so ziemlich bekannt vor was der da labbert...
    vorallem das mit den freunden ist so ne Sache in der heutigen Zeit....

    Ich code auch zu viel und sollte mehr RL pflegen... :hdbg:

    THX for den Super text !! :clmn:

    C'ya

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    To Fast 4 You.

  • Ja habs auch aufgesaugt wie ein Schwam =) freu mich schon auf mehr =)
    DANKE AMI :agl:

    :grmn:

  • Frag doch einfach mal in die Runde :)

    Vielleicht gibt es noch ein Relikt aus alten Tagen, der seine Stories zum besten gibt :)

    Zitat

    Originally posted by Sodom
    Ich muss sagen das ist ein sehr interresanter Text.
    Würde gerne mehr lesen über die Cracker von Damals.

  • Zitat

    Originally posted by Tristar^BOFH
    Frag doch einfach mal in die Runde :)

    Vielleicht gibt es noch ein Relikt aus alten Tagen, der seine Stories zum besten gibt :)

    Da kann ich euch nur ermutigen - vieleicht ist ja ein Relikt aus den alten Tagen auch hier auf TRS =) - fragt einfach mal :hny-2:

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    Respect the Scene, Respect their Work !

  • hm... lebende Fossilien meinst du @ Ami?
    Ich kenn da wohl schon 1-2-3-4-5 oder 6 ;)


    Aber nich schlecht der Text. Sagt ihmo wirklich viel davon was ich denke: irgendwie sind wir alle noch Kinder, egal wie alt. Der Schrei nach Anerkennung ist laut, und bei Leuten wie ihm durchaus auch mal erfolgreich (und angemessen...).

  • so ein bischen fuehle ich mich auch wie ein Relikt ;) mein Werdegang von 84 an wahr auch sehr spektakulaer ;) koennt man ne gute Story von machen ;)

    Eigentlich koennte ich die Zeit von 84 bis 89 zum besten geben, den das wahr ja eigentlich die Zeit die Lohnt von sich zu berichten ;) Zumindest wehn es Intressiert mal nen einblick geben was man doch alles fuer nen scheiss gemacht hat ;)

    Wer wahr den noch so in dieser Zeit alles taetig ?

    best regards
    wunder

  • Zitat

    Originally posted by Wunder
    so ein bischen fuehle ich mich auch wie ein Relikt ;) mein Werdegang von 84 an wahr auch sehr spektakulaer ;) koennt man ne gute Story von machen ;)

    Eigentlich koennte ich die Zeit von 84 bis 89 zum besten geben, den das wahr ja eigentlich die Zeit die Lohnt von sich zu berichten ;) Zumindest wehn es Intressiert mal nen einblick geben was man doch alles fuer nen scheiss gemacht hat ;)

    Wer wahr den noch so in dieser Zeit alles taetig ?

    best regards
    wunder

    Dann will ich mich doch auch mal aus meiner Gruft melden :pcbr:
    Bei mir begann es im Jahre des Herren 1977 ....
    Gibt da schon einige witzige Stories aus der Zeit des digitalen Urschlammes. Als es noch keine Szene gab, als sie entstand, und wie sie starb. Fern ab von dem, was die Leute heute als 'Szene' betrachten, denn das Heutige ist noch nichtmal mehr ein Schatten der alten Tage.

  • Also mich würden eure Geschichten brennend interessieren - was ihr so denkt, wie es bei euch war =) nurzu. Aber bitte ned wenns geht... Meine fängt 1998 im WareZ Bereich an. Das bitte ned :pfct: :pfct:

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    Respect the Scene, Respect their Work !

  • Hey Ami, das war nen' Artikel aus der Amiga plus! Evrim hat ne' zeitlang ganz nette Sachen gemacht. Aber Hackerland ansich fand ich nicht so überzeugend. Hackertales war schon etwas besser. Für meine Begriffe ging Hackerland nicht tief genug in's Detail.. ausserdem wieso eigentlich "HACKERLAND"??? Was hatte das alles mit hacken zu tun?? Das war vom Verlag sicher eine Idee das Buch besser verkaufen zu können!!

    1984? 1977 ? Wow! Und ich dachte ICH wäre ein Relikt, der ich erst 1992 mit der illegalen Amiga Szene angefangen habe... ;-)))))

  • Zitat

    Originally posted by Ghandy
    Hey Ami, das war nen' Artikel aus der Amiga plus! Evrim hat ne' zeitlang ganz nette Sachen gemacht. Aber Hackerland ansich fand ich nicht so überzeugend. Hackertales war schon etwas besser. Für meine Begriffe ging Hackerland nicht tief genug in's Detail.. ausserdem wieso eigentlich "HACKERLAND"??? Was hatte das alles mit hacken zu tun?? Das war vom Verlag sicher eine Idee das Buch besser verkaufen zu können!!

    1984? 1977 ? Wow! Und ich dachte ICH wäre ein Relikt, der ich erst 1992 mit der illegalen Amiga Szene angefangen habe... ;-)))))

    Hier findest du nur Opas =)

    Ghandy, ich hab noch nicht deinen Signatur Wunsch....

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  • immer mal her mit Euren Storys-da unsereins ja nur noch mehr oder weniger den Tod der alten Scene mitbekommen hat-heute ist es ja nur noch eher Stuff etc...

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    "Ich bin unschuldig, ich bin Amerikaner"

    Zitat:

    Baphomet's Fluch 1

  • ich bin zum erstmal wie ami auch 1998 in kontakt mit der sog. "scene" gekommen, fing auch alles mit warez an.....erinner mich auch gern noch an die alten zeiten hier aufm board :) fbs lässt grüßen ;)

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  • Also um mal von mir zu sprechen....
    Bin seit 1983 oder so dabei, habe alle Seiten kennengelernt und muß sagen das ich den Text mit sehr viel Interesse gelesen habe.
    Ich finde sehr viel davon ist grundsätzlich richtig wobei ich mich ganz klar von der Virenprogrammiererei distanzieren möchte. -> Kranke Hirne gibts halt überall.
    Bin mit meinen 39 Jahren hier wohl einer der Älteren und kann seine Beweggründe verstehen was Szene betreffen , allerdings ist das auch der Lauf der Zeit.

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  • Zitat

    Originally posted by Ghandy
    Hey Ami, das war nen' Artikel aus der Amiga plus! Evrim hat ne' zeitlang ganz nette Sachen gemacht.

    Amiga Plus? Ich frage mich gerade, ob der Redakteur heute fuer die Super Illu arbeitet. Vom Schreibstil her wuerds passen ;)

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