"DEAR WENDY"Wenn Dandys einen Schuss haben"

  • Sechs Jugendliche, jede Menge Waffen, ein tödlicher Showdown: Das reichte, um Thomas Vinterbergs Kinodrama "Dear Wendy" das Urteil "Gewaltverherrlichend" einzutragen. Dabei ist sein Film vor allem eine Reflexion über den Künstler und seine ambivalente Revolte gegen die Gesellschaft.


    Sie heißen Lyndon und Woman, Lee und Grant, Bad Steel, Piece und Wendy. Sie sind präzise, zuverlässig und versprechen ihren Besitzern etwas ganz Besonderes: Selbstvertrauen und Macht.

    Sechs Jugendliche, Außenseiter in einem schäbigen Bergarbeiterkaff, legen sich Revolver und Pistolen zu, geben ihnen Namen und machen sie zu Fetischen eines pubertären Heldenkults: Man kann Thomas Vinterbergs Drama "Dear Wendy" bedenklich finden angesichts von 240 Millionen Handfeuerwaffen, die zurzeit allein in den USA kursieren. Täglich sterben dort mehr als 100 Menschen an Schussverletzungen, fast 40.000 im Jahr.

    Die Medienwächter der Freiwilligen Selbstkontrolle müssen solche Zahlen vor Augen gehabt haben, als sie dem Film eine Freigabe ab 18 Jahren verpassten. Damit rangiert die Geschichte um den Waffennarren Dick und seine Freunde in einer Liga mit dem blutgetränkten Thrillerspektakel "Sin City", in dem Menschen gefoltert, verstümmelt und gefressen werden.

    Vinterbergs Film ist auch bei der Kritik durchgefallen: In den USA beschimpfte man ihn als moralinsaures Machwerk; in Dänemark, wo der Regisseur zu Hause ist, höhnte die größte Tageszeitung: "Wendy ist abgeschossen."


    Tatsächlich ist "Dear Wendy" ein kühles, artifizielles Werk, das stets auf die Distanz zum Zuschauer bedacht bleibt. Vielleicht liegt es daran, dass Lars von Trier das Drehbuch geschrieben hat. Die Story wirkt wie eine Variation auf sein aktuelles Lieblingsthema, das er in seinen letzten beiden Filmen, "Dogville" und "Manderlay" (Deutschlandstart: 10. November), durchgespielt hat: die Konfrontation des Außenseiters mit der Gruppe und die Eskalation von Gewalt.


    Die Außenseiter, das sind Dick (Jamie Bell), der Sohn eines Minenarbeiters, der sich beharrlich der Grubenarbeit widersetzt; Stevie (Mark Webber), der introvertierte Tüftler; Huey (Chris Owen), dem ein Bein fehlt; Freddie (Miachel Angarano), sein jüngerer Bruder, der ständig verprügelt wird; Susan (Allison Pill), die schlecht riecht und keine Brüste hat, und Sebastian (Danso Gordon), ein Gauner und Dieb.

    Die Gewalt, sie wirkt erst einmal wie ein tragisches Malheur, ist letztlich aber die zwingende Konsequenz der Geschichte. Zwar hatten Dick und seine Clique eine wilde Schießerei am Anfang gar nicht im Sinn. Im Gegenteil: Sie sehen sich als Dandys und Pazifisten, ihre oberste Regel lautet: Mach niemals Gebrauch von deiner Waffe. Als aber Dicks Ziehmutter, eine alte afroamerikanische Lady (Novella Nelson), einen Polizisten erschießt, müssen sich die Freunde entscheiden.

    Die Frage lautet Dandy oder Pazifist, und von Trier hat einen frühen Hinweis in das Drehbuch geschmuggelt: Am Anfang verschenkt Dick eine Ausgabe von Oscar Wildes Roman "Das Bildnis des Dorian Gray". In Dicks Exemplar aber fehlen die letzten zwanzig Seiten, jene Passagen, in denen der Dandy für seine Verbrechen büßen muss.

    Im Buch lässt Gray ein magisches Porträt statt seiner altern; auf ihm zeichnen sich die Verwüstungen eines ausschweifenden Lebens stellvertretend ab. Am Ende erkennt der Bohémien in seinem Konterfei das Spiegelbild einer korrumpierten Seele. Soviel moralische Selbsterkenntnis ersparen Vinterberg/von Trier jedoch ihren Figuren. Sie sterben jung, Helden einer romantischen Revolte.

    Sieht man sie als verwirrte Kids, die ihre Libido an Waffen heften, um sich schließlich in einer Bleiorgie zu entladen, so ist "Dear Wendy" tatsächlich bestenfalls ein filmisch erhobener Zeigefinger, schlimmstenfalls eine plumpe Sanktionierung jugendlicher Gewalt.

    Was aber, wenn hier noch einmal der Dandy als Statthalter der künstlerischen Existenz ins Spiel gebracht wäre? Als Sonderling, der sich vom praktischen, gesellschaftlich akzeptierten Leben entfremdet? Denn das waren sie ja, die Oscar Wildes, Lord Byrons und Beau Brummels: Ästheten, die die Sachzwänge der bürgerlichen Welt mit aristokratischem Stilwillen parierten.


    Hierin liegt die politische Brisanz des Dandytums: Seine künstlerisch motivierte Aggression hat immer auch etwas Anti-Demokratisches; sein Gentleman-Stil trägt offen die Verachtung für den gesellschaftlichen Konsens und alles, was mit Fortschritt zu tun hat, zur Schau. Nicht umsonst ist Wendy ein antiker Double-Action-Revolver und Lyndon ein Vorderlader, mit dem man nur einen einzigen Schuss abgeben kann. Für die Hightech-Waffen der Polizisten haben Dick und seine Freunde nur Verachtung übrig.

    Auch so gesehen ist die Waffenliebe der Helden problematisch, allerdings nicht im Sinne einer simplen Gewaltverherrlichung, sondern als Indiz dafür, wie nahe soziale Ohnmacht, künstlerischer Aristokratismus und Zerstörung beieinander liegen. Bezeichnenderweise interessieren sich Dick und seine Entourage für das Elend der Afroamerikanerin, die sie bis aufs Blut verteidigen, so wenig wie Oscar Wilde zu seiner Zeit für die Misere der Grubenarbeiter in Yorkshire. Ihnen geht es vielmehr um die stilgerechte Exekution eines Plans und um den Affront der bedingungslosen Selbstaufgabe. Hier fällt die Revolte des Dandys zusammen mit der faschistoiden Bereitschaft zum Opfer, zum Blutvergießen und zur Romantik der Auslöschung. Man kann sich Dicks Truppe durchaus vorstellen in späteren Jahren - als kunstsinnige Miliz, bereit für den Putsch von rechts.

    Wendy, Bad Steel und die anderen Waffen sind also letztlich nicht das Problem, sie sind bleigefüllte Sprachrohre, ihre Rhetorik ist die des Ressentiments. Hier müssten Aufklärung und Engagement einsetzen - und das nicht erst ab 18 Jahren.

    Von Daniel Haas

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    "Dear Wendy"

    Dänemark/Deutschland/Frankreich/Großbritannien 2005. Regie: Thomas Vinterberg. Buch: Lars von Trier. Darsteller: Jamie Bell, Bill Pullman, Michael Angarano, Danso Gordon, Novella Nelson, Chris Owen, Alison Pill, Mark Webber. Produktion: Lucky Punch, Nimbus Film ApS, Zentropa Entertainments. Verleih: Legend Filmverleih. Länge: 101 Minuten. Start: 6. Oktober 2005.


    Quelle:spiegel.de
    Link:http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,378224,00.html

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    Lebt in der Liebe,wie auch Christus uns geliebt hat.
      

    [ Epheser. 5,2 ]

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