Was war. Was wird.

  • Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
    Anzeige

    Was war.

    *** Der Sommer ist im Zuge der allgemeinen Sparmaßnahmen abgeschafft; gerätselt werden darf ab sofort nur noch über den nächsten Troll aus der CDU/CSU, der den Osten in ein blühendes Gruselkabinett verwandelt. Wahlzeit ist's, da muss die Wochenschau wohl oder übel mitziehen, auch wenn es nicht sehr viel Sinn macht: Würde man für all die Phrasen, die Politiker auf der Höhe der Zeit frisch von der PolitikerInnenlandverschickung in ihre Blogs dreschen, ein Lemkesches Phrasenschweinchen füttern, hätten wir aus dem Stand weg ein großes Haushaltsloch gestopft. So schnell und effizient, wie man die Rente sichern kann. Dem ganzen Sprachmüll, der aus den nagelneuen Blogs aller Parteien quillt, kann man nur das einzig ehrliche Blog gegenüberstellen, das ebenfalls neu gestartet ist: Ich habe kein Gesetz gebrochen. Wobei, ein Rätsel hätte ich ja noch auf Lager: Gesucht wird die Politikerin, der Politiker, die/der vollumfänglich hinter Hartz IV steht und das auch auf der Straße oder in seinem "heute hat es nicht geregnet-Blog" vollumfänglich vertritt. Wer diese Regelung bloß beschlossen hat?

    *** Vor mir liegt ein ca. 80 Seiten dickes Gutachten aus dem Jahre 1986, verfasst vom Chaos Computer Club für die grüne Bundestagsfraktion, die damals ihre erste "Wühlperiode" hinter sich hatten, wie es die damaligen Hacker um Steffen Wernery und Wau Holland bezeichneten. Das als grüner Zweig Nr. 117 veröffentlichte Gutachten, für das der CCC damals die Consultingfirma "Die Hamburger GbR" gegründet hatte, trägt den schlichten Titel "Entwurf einer sozialverträglichen Gestaltungsalternative für den geplanten Computereinsatz der Fraktion 'Die Grünen im Bundestag' unter besonderer Berücksichtigung des geplanten Modellversuchs der Bundestagsverwaltung (PARLAKOM)". Sinnigerweise ist das Gutachten kein Entwurf für einen Computereinsatz, sondern ein Verriss der Arbeit der Grünen, die verkrustet wie eine Universität funktionierten, bei denen die Macher nur eine Textverarbeitung haben wollten. Unter dem Motto "Ohne Netzwerktechnologie keine Basisdemokratie" wurden mit der grünen Zentrale via Mailbox verbundene, mit Computern ausgerüstete Stadtteilmedientreffs und alternative Computerläden vorgeschlagen. Das ISDN-basierte Parlakom-System, eine auf Hicom-Anlagen von Siemens basierte Teletext-Lösung, hielten die Gutachter für eine Sackgasse, empfahlen aber die Nutzung in Krisenzeiten, sollte das Telefonnetz abgeschaltet werden. Bei den Grünen wanderte das Gutachten in die vertikale Ablage. Dies als Vorwort zu einer Wahl, die dermaßen ohne Gestaltungsalternativen daher kommt, dass selbst der CCC die Lust am sonst veröffentlichten Parteienüberlick verloren hat.

    *** Die Lust? Die eigentlich Frustrierten sind nicht die Politiker, die sich ein neues Volk wählen wollen. Es sind die Bürger, die des amtsflüchtigen Kanzlers Schröder Rede vom "Erpressungspotenzial" mitsamt Auflösung und Neuwahl für einen ausgemachten Schwindel halten. Die "Dokumentation" der Regierungsunfähigkeit ist dermaßen jammervoll und dürftig, dass man sich als Deutscher für das Verfassungsgericht schämen muss, das diesen Unsinn durchwinken soll. Also wird sich wohl erst die übernächste Wahl den digitalen Fragen stellen, die die Politik bestimmen werden. Patente und Index-Dateien, offenes und geschlossenes Wissen, das alles spielt unter den nach Aufschwung gierenden Politikern keine Rolle. Doch die Cyber-Outlaws von heute sind die Wähler von morgen. Einen Vorgeschmack auf kommende Friktionslinien konnte man in der Diskussion um die Pflichten des Bundesdatenschützers durch den allkompetenten Bundesinnenminister spüren. Wenn Arbeitslose abtelefoniert werden und die Polizei Hooligans die elektronische Gesundheitskarte entzieht, sagt niemand nein. Es folgen die Unfälle nach dem Drogenkonsum in bayerischen Biergärten.

    *** Heute vor 60 Jahren endete ganz ohne den gerade überschwenglich gelobten Thomas Mann der II. Weltkrieg. Edith Shain hieß die Krankenschwester, deren Bild vom Kuss mit einem Seemann um die Welt ging. Sie schloss die Augen und ließ es geschehen, den tapferen Männern zuliebe. Aber während die USA auf Wahlen zugehen, haben wir die Wahl bereits hinter uns. Kanzelerin Merkel wird uns nicht in einen Krieg führen, in dem Truppen dauerhaft am Hindukusch und um Bagdad stehen, aber sie wird den Krieg gegen die Islamisten Ernst nehmen. Der sichert die Arbeitsplätze auf Helgoland, wo kaum noch Schiffe anlegen.

    *** Die FAZ muss ich im Fall von Baidu noch einmal zitieren, schließlich tischt ihr China-Korrespondent einen schweren Vorwurf auf. Mit dem unrühmlichen Beispiel von Google könnte man freilich die einfache Tatsache konstatieren, dass es keine freie Suchmaschine gibt. Entsprechend tief müssen wir journalistischen Zwerge uns vor Google verneigen. Ab sofort werden alle Google-Mitarbeiter mit dem Ehrentitel Eure Durchsuchlaucht angesprochen werden müssen, sonst folgt die Strafe beim Ranking auf dem Fuße. Die große Bayerin Monika Henzinger ist natürlich ausgenommen, nicht nur deshalb, weil sie den Dienst bei der kalifornischen Gleichschaltungstruppe quittiert hat.

    *** Apropos Gleichschaltung. Ganz gewaltig rumort es um den hier bereits erwähnten Kauf der Pro Sieben Sat.1 Media AG durch den Axel Springer Verlag. In die Stimmen, die vor dem Untergang des Abendlandes warnen, mischt sich auch eine bekannte Keule, die einen Journalisten niedertätscheln will. Auf billigste Art, weil Haim Saban als raffgieriger Jude porträtiert sein soll. Natürlich gibt es Blogs, die die schrägen Töne bemerken. Auf der Bettkante geht es züchtiger zu.

    *** Ein besonderes Lob geht diese Woche an Microsoft. Diese Firma ist zwar einigen Lesern nicht so sympathisch, sie macht aber im Moment alles richtig. In Brüssel vertritt der Microsoft-Lobbyist Clayland Boyden Gray die Interessen der USA, den selbst die FAZ in der Überschrift als "Undiplomatischer Botschafter" vorstellt. In Zentral-Schottland steigt die Polizei von Linux zurück in die Windows-Welt, die Microsoft für 'nen Appel und Ei angeboten hat. Der Internet Explorer kommt hübsch und frisch daher und nahm im Juli erstmals dem Firefox Marktanteile wieder ab, wenn die Zahlen von NetApplications stimmen. Dann entdeckte man auf den Speicherbändern belastendes Material zum Wechsel von Kai-Fu Lee -- wer an Märchen glaubt, kann hier weiter lesen. Schließlich tauchte, wie erwartet, Apples Betriebssystem auf den doofen Rechenknechten auf, wo nun die direkten Vergleiche gefahren werden können. Das ist auf Apples Seite natürlich Absicht: Wer bei einer mächtigen Maus über 150 MByte Treiberkrams installieren muss, hat sich längst von seiner Plattform verabschiedet. Glückliche Gesichter bei Microsoft, weil sich ein weiteres Argument der Monopoldiskussion entkräftet hat. Dagegen lässt es sich verschmerzen, dass selbst die eigenen Geeks nicht mehr wissen, wann Windows 1.0 erschien.

    Was wird.

    Während der Wahlkampf auf vollen Touren läuft, kommt die DV-Branche in Europa nur langsam aus dem Sommer zurück. Der erste große Hammelsprung droht erst Anfang September mit der IFA in Berlin, wo Intel die größte Ausstellungsfläche angemietet hat. Gleich danach will Microsoft eine revolutionär neue Roadmap für kleine und mittelständische Unternehmen einführen, die immer noch mit Linux liebäugeln. Zuvor gibt es jedoch im kurzurlaubenden Amerika das Intel Developer Forum, komplett mit der Revolution der Zukunft. Der neue Chip müsste dann eigentlich Delorean heißen.

    Während bei Intel noch nichts entschlüsselt ist, ist das angeblich letzte Rätsel um Einstein geknackt worden und soll selbstredend im anbrechenden Herbst nachgekocht werden. Das ist für mich eine wunderbare Gelegenheit, Vorschläge für ein festliches Menü zu sammeln, das am Wahlkampfabend gegessen werden kann -- und dazu hören wir sicher keine wirren Worte des frustrierten Neudeutsch-Pop, sondern legen einen gepflegten Anthony Braxton auf, in der Hoffnung, dass wenigstens die klassische Avantgarde noch ein bisschen den Blick in die Zukunft freilegt. Gegessen aber wird frei nach dem großen Verleihnix: Wer mit Fisch werfen kann, sollte ihn auch zubereiten können. Bitte also nur Vorschläge für reale Gerichte (und zukunftsweisende Begleitmusik): Gefüllter Troll in Linuxsoße wird ignoriert. Und die Herr-der-Ringe-Symphonie ist nicht einmal als Hintergrundgeräusch zugelassen.


    quelle:http://www.heise.de

    link:http://www.heise.de/newsticker/meldung/62791


    lg kath

    signatur_kath.jpg

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!