• Wenig Aufwand, große Wirkung: Nirgendwo lässt sich die Grundregel des Terrors besser umsetzen als im Internet. Für al-Qaida und Co. ist es deshalb das Propagandamedium schlechthin. Zwischen authentischem Material lauern auch Fälschungen. So wie das Bild eines entführten US-Soldaten, der in Wirklichkeit eine Spielzeugpuppe namens "Cody" war.


    Berlin - Wenn Abu Musab al-Sarkwi, der im Irak aktive Statthalter Osama Bin Ladens, eine Botschaft an die Weltöffentlichkeit senden will, lässt er einen Menschen unter dem Namen "Abu Maisara al-Iraki" die entsprechenden Zeilen oder Bilder ins Internet stellen. Mehrmals täglich meldet sich "Abu Maisara" mittlerweile zu Wort. Die eigene Webseite, die al-Sarkawi noch bis in den Herbst 2004 hinein betrieb, ist offline. Sie hat sich offensichtlich nicht rentiert - wahrscheinlich, weil das, was "Abu Maisara" heute macht, weit mehr Wirkung erzielt: Er postet die Erklärungen der irakischen al-Qaida-Filiale einfach in einem großen, gut besuchten, arabischen Diskussionsforum, in dem sich vorwiegend Islamisten tummeln. Von hier aus, darauf kann sich al-Sarkawi verlassen, findet die Botschaft quasi von alleine ihren Weg um den Globus.

    Al-Sarkawi befolgt damit eine Grundregel des Terrorismus: mit minimalem Aufwand maximale Wirkung zu erzielen. Auch die abscheulichen Mordvideos halten sich an dieses Schema. Wenn al-Sarkawi oder seine Anhänger jemanden hinrichten, dann verbreiten sie Angst und Schrecken, Ekel und Abscheu auf der gesamten Welt, ohne dass sie besonders viel in Organisation oder Planung investieren müssten. Die Enthauptung zweier Iraker auf offener Straße, so wie in der vergangenen Woche, ist mindestens so wirksam wie ein mittelgroßer Anschlag irgendwo im Irak - immer vorausgesetzt natürlich, die Bilder werden über das Internet verbreitet, weshalb das Web längst zum unverzichtbaren Medium für islamistische Terroristen wurde.


    "Abu Maisara" bevorzugt für seine Postings das Forum "ansarnet". Es gibt aber noch einige weitere Webadressen dieser Art, zum Beispiel "al-Qal'a" oder "Islah". Auch hier findet man Bekennerschreiben, Hinrichtungsvideos und Strategiepapiere. Die Nachrichtenagenturen, internationale Geheimdienste sowie arabischsprachige Journalisten scannen diese Seiten mehrmals täglich. Wenn es also in einer Nachricht heißt, ein Dokument wurde "im Internet" oder auf einer "islamistischen Webseite" gefunden, ist meistens von diesen Foren die Rede. Außer es handelt sich um Material einer der wenigen Terrorgruppen, die noch eigene Homepages betreiben, wie zum Beispiel die irakische "Dschaisch Ansar al-Sunna". Finden die Agenturen ein Posting, dass sie für authentisch halten, setzen sie meistens schon nach Minuten eine Eilmeldung ab.

    Blogger kamen dem Cody-Fake auf die Spur

    Zuletzt sprang diese Maschine im großen Stil am Dienstag an: Auf der "Qal'a"-Seite war ein mutmaßliches Bekennerschreiben aufgetaucht. "Unseren heldenhaften Mudschahidin der Dschihad-Einheit im Irak ist es gelungen, den US-Soldaten John Adam zu entführen", heißt es in dem Schreiben, das SPIEGEL ONLINE vorliegt. Beigefügt war ein Foto, das einen auf dem Boden sitzenden US-Soldaten zeigte, der mit einer Waffe bedroht wurde. Nach 72 Stunden würde er getötet, drohten die vermeintlichen Terroristen, wenn nicht alle Insassen der Gefängnisse der US-Armee im Irak freigelassen würden.

    Auf den ersten Blick enthielten das Bekennerschreiben und das beigefügte Bild die üblichen Merkmale solcher Publikationen: Im Hintergrund des Fotos war ein in Arabisch geschriebenes islamisches Glaubensbekenntnis zu sehen, der Sprachgebrauch des Schreibens unterschied sich nicht sonderlich vom Üblichen.

    Auf den zweiten Blick stellte sich die Terrorbotschaft schnell als Fälschung heraus. Die Entdeckung ging von der aufmerksamen Blogger-Gemeinde aus, wie später auch CNN zugestehen musste. "Irgendetwas an dem Bild sieht einfach nicht richtig aus. Ich bin mir nur nicht sicher was", schrieb ein Teilnehmer im Diskussionsforum der ideologisch geprägten Anti-Terror-Website "homelandsecurityus.org" schon kurz nach Veröffentlichung des Bildes. "Der Kopf wirkt, als wenn er auf einen falschen Körper gesetzt worden wäre", stimmte ein zweiter Diskutant zu. Die beiden behielten Recht. Mittlerweile bestehen kaum noch Zweifel, dass das Bild von "John Adam" in Wahrheit eine Puppe des Spielwarenherstellers Dragon Models USA zeigt - zumal die US-Armee niemanden dieses Namens vermisst.

    Ein US-Soldat ohne Erkennungsmarke?

    Der Fake war in diesem Fall recht einfach zu erkennen, eine Puppe anstelle eines Menschen fällt irgendwann auf, und die Agenturen reagierten auch schnell auf die Entdeckung, indem sie das versendete Bild und ihre Meldungen per Mitteilung an die Redaktionen "killten". Es hätten ihnen allerdings auch vorher schon anhand anderer Merkmale auffallen können, dass sie es wahrscheinlich mit einer Fälschung zu tun hatten.


    Denn so einfach ist das Material islamistischer Terrorgruppen nicht nachzuahmen. Al-Qaida und Co. haben längst ein hohes Maß an Professionalität erlangt, geben zum Beispiel regelmäßig Online-Magazine zur Kriegsführung heraus, machen ihre Strategiepapiere im Web öffentlich, lassen sich Grußbotschaften und Ergebenheitsadressen zukommen. Sie wissen, wie das Netz funktioniert, wie sie ihre Anhänger, die in den Internetcafés der arabischen Welt sitzen, ansprechen müssen. Zwar betreiben sie auch gezielte Desinformation, wie zum Beispiel ein Aufruf auf einer Seite der saudischen al-Qaida aus dem letzten Jahr zeigt, in dem die Terroristen aufgefordert wurden, möglichst viele Pseudo-Organisationen zu gründen, um den Westen und seine Geheimdienste zu verwirren.

    Aber vor allem wissen sie genau, dass die mediale Verwertungskette über das Internet nur so lange funktioniert, wie sich ihre Adressaten halbwegs sicher sein können, dass sie es mit dem Original zu tun haben. Weil das Internet für ihre Art der Kriegsführung unabdingbar ist, legen sie viel Wert darauf, erkennbar und eindeutig identifizierbar zu bleiben. Deshalb verwenden sie zum Beispiel unverwechselbare Briefköpfe oder Logos wie die saudische al-Qaida, die stets denselben Schriftzug mit den Worten "Stimme des Dschihad" oder ein weißes Pferd als Signet benutzt. Oder sie sorgen dafür, dass der Absender immer denselben Login-Namen benutzt, wie al-Sarkawis Netzwerk mit "Abu Maisara al-Iraki", der, weil "ansarnet" ein Forum mit Registrierungszwang ist, sicher sein kann, dass niemand anderes seine Identität kapert.

    Außerdem filmen die Terroristen ihre Opfer meistens, aus gutem Grund: Entweder, um den Beweis zu führen, dass sie wirklich tot sind, oder um das aufgezeichnete Flehen zu übermitteln, damit der verbreitete Schrecken noch größer ausfällt und die Forderungen erfüllt werden. So geschah es etwa mit einem im Herbst 2004 im Irak entführten Briten.

    Mail an al-Qaida

    Und schließlich fotografieren die Terroristen in aller Regel die Dokumente, die ihre Opfer bei sich tragen, zumal bei US-Bürgern. So hielt es die saudische Qaida schon beim ersten aller online verbreiteten Enthauptungsvideos im Sommer 2004. Die abfotografierte Visitenkarte und ein Ausweis des ermordeten Paul Marshal Johnson erhöhten den Grad der Authentizität erheblich. Auch al-Sarkawi und "Dschaisch Ansar al-Sunna" machten sich diese Beweisführung zu Eigen. Dass ein US-Soldat im Irak, wie der angebliche "John Adam", ohne Erkennungsmarke, aber in voller, unbeschmutzter Uniform herumgestreift sein soll, ist dagegen reichlich merkwürdig.


    Keines dieser einschlägigen Merkmale wies das angebliche Bekennerschreiben vom Dienstag auf. Hinzu kam möglicherweise ein weiterer Fehlschluss der Agenturen, der sie dazu bewog, das Dokument trotzdem ernst zu nehmen: Das Schreiben ist unterzeichnet mit "Die Mudschahidin-Einheiten/Irak". Eine Gruppe, die mit den gleichen Worten unterzeichnet hatte, hatte sich bereits im vergangenen Jahr selbst der Entführung dreier Japaner und eines Brasilianers bezichtigt. Die Japaner wurden später frei gelassen, das Schicksal des Brasilianers ist ungewiss. Dass diese beiden Gruppen identisch sind, ist weit weniger zwangsläufig als man im ersten Moment annehmen könnte: "Mudschahidin-Einheiten" ist eine Allerweltsbezeichnung für islamistische Kämpfer. Das Bekennerschreiben vom Dienstag wirkt eher so, als hätten sich die Autoren auf keinen Fall festlegen und eben gerade nicht unverwechselbar sein wollen.

    Mehr als ein Terrorexperte legte das Dokument deswegen gleich nach der Lektüre wieder zur Seite. Die Agenturen tickerten trotzdem. Ironischerweise blieb der Fall "John Adam" derweil auch im islamistischen Internet nicht ohne Folge. "An die irakische al-Qaida, Ansar al-Sunna und die Märtyrer-Einheiten" wandte sich heute in dem Forum "ansarnet" ein Teilnehmer, den die Entdeckung der Fälschung offensichtlich unruhig gemacht hatte. "Wer weiß, was damals mit diesem Brasilianer geschah, der im Irak entführt oder getötet worden sein soll, den bitte ich um eine ehrliche Antwort", schrieb der Mann. "Ich habe Verwandte in Brasilien, die haben mich um diese Information gebeten." Unbarmherzig fügte er noch hinzu: "Wenn er mit den Amerikanern kooperiert hat, so hoffe ich natürlich, dass er für immer gegangen ist."

    Cheers

    @JAckI:chrz:

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    Lebt in der Liebe,wie auch Christus uns geliebt hat.
      

    [ Epheser. 5,2 ]

  • Das Internet ist Anarchy pur - die Menschen selbst entscheiden wie es genutzt wird, ist die kritische Masse an Idioten eines Tages zu hoch, wird sich das bemerkbar machen =)

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    Respect the Scene, Respect their Work !

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