Neuer Streit um künftige Fassung des Großen Lauschangriffs

  • Das Bundesjustizministerium hat am heutigen Montag ein Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg zur "Rechtswirklichkeit und Effizienz" des Großen Lauschangriffs veröffentlicht. Die knapp 380 Seiten starke Analyse (PDF-Datei) wertet die Akten zu den 119 Verfahren aus, in denen zwischen 1998 und 2001 eine akustische Wohnraumüberwachung in Deutschland beantragt wurde. Ergänzend haben die Forscher Gespräche mit den Richtern, Staatsanwälten und Polizeibeamten geführt. Insgesamt kommen sie zu dem Ergebnis, dass die tief in die Grundrechte einschneidende Maßnahme in der Regel gemäß der "rechtlichen hohen Voraussetzungen" für ihren Einsatz durchgeführt wird und eine "wirksame rechtliche Kontrolle stattfindet". Doch die Studie zeichnet auch zahlreiche Problemfelder auf.

    Strafverfolger starteten den Großen Lauschangriff im Untersuchungszeitraum hauptsächlich im Zusammenhang mit "Mord, Totschlag und Völkermord" (45 Prozent) sowie mit Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz (33 Prozent). Während der Bezug zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, der die Wohnraumüberwachung vor allem dienen soll, bei den Drogendelikten mit 87 Prozent noch recht häufig hergestellt werden kann, ist dies bei den Mord- und Totschlagsverfahren mit 12 Prozent kaum noch der Fall. Bei weiteren "klassischen" Straftaten im Umfeld des organisierten Verbrechens wie der Geldwäsche oder dem schweren Menschenhandel kommt der Große Lauschangriff mit drei beziehungsweise einem Prozent so gut wie gar nicht zum Tragen.

    Die Ausbeute der aufwendigen Verwanzung der Wohn- und Schlafzimmer ist mager. Rund 30 Prozent der angeordneten Maßnahmen konnten insgesamt als "erfolgreich" oder "bedingt erfolgreich" eingestuft werden. Die Max-Planck-Forscher unterscheiden hier weiter zwischen tatsächlich durchgeführten Maßnahmen, in denen zwar Indizien für die zur Last gelegten Verbrechen gefunden, diese aber nicht beweistauglich waren. Derlei Verfahren machten 19 Prozent aus. In 15 Prozent konnten mittelbar erfolgreiche Hinweise wie die Feststellung weiterer Ermittlungsansätze oder Strukturerkenntnisse gewonnen werden. Nur in 7 Prozent der Fällen führte der Große Lauschangriff zu "direkt tatnachweiserbringenden Maßnahmen" wie der direkten Aufzeichnung der Abwicklung von Geschäften im Bereich der Drogenkriminalität.

    29 Prozent der durchgeführten Maßnahmen verliefen dagegen komplett inhaltlich ergebnislos. Weitere 12 Prozent waren wegen technischer Probleme letztlich nicht verwertbar. In elf Prozent der Fälle entdeckten die Betroffenen die Lauschwerkzeuge.

    Die Gutachter halten den Großen Lauschangriff trotzdem an sich für zweckmäßig und betonen, dass "im Gegensatz zur Telefonüberwachung die Maßnahme der akustischen Wohnraumüberwachung Einzelfallcharakter hat". Gleichzeitig stellen sie aber fest, dass sich in der "Tendenz eine gewisse Steigerung feststellen lässt". So gab es 1998 elf Verfahren, während es 2001 bereits 37 waren. Statistisch ist Hessen mit 22 Verfahren während des gesamten Studienzeitraums Spitzenreiter. Es folgen Bayern mit 15 sowie Baden-Württemberg und Niedersachsen mit jeweils 14 Verfahren. Die gerichtliche Ablehnungsquote beträgt 13 Prozent. Eine "Intensivierung der richterlichen Kontrolle" erscheint den Forschern gerade im Hinblick auf die eigentliche Durchführung der Maßnahme für sinnvoll. Insbesondere sei eine bessere "Ergebnisrückkoppelung" geboten.

    Schwer taten sich die Gutachter bei der Ermittlung der von den Maßnahmen Betroffenen und ihrer Abgrenzung zu sonstigen Beschuldigten des Verfahrens. Hier gebe es "Definitionsschwierigkeiten", schreiben sie. Ingesamt konnten sie 307 Betroffene feststellen, von denen 210, also 68 Prozent, zugleich Beschuldigte des jeweiligen Verfahrens waren. Immerhin 97 Personen wurden in ihrer Eigenschaft als "nicht beschuldigte Betroffene" mit überwacht.

    Auch einen Blick in die Zukunft werfen die Forscher, nachdem das Bundesverfassungsgericht Anfang März weite Teile des Großen Lauschangriffs für verfassungswidrig erklärt hat. Sie sehen dabei allerdings im Hinblick auf "Tatschwere, Ultima-ratio-Funktion und Verhältnismäßigkeit keine maßgebliche Einschränkung". Die Selbstregulierung der Ermittler funktioniere hier bereits gut. Als äußerst problematisch und "wenig sachgerecht" bezeichneten die Praktiker hingegen schon in den vergangenen Jahren die ihnen auferlegten Restriktionen hinsichtlich der Durchführbarkeit der Maßnahme. Mit der Umsetzung der Hausaufgaben des Verfassungsgerichts wird den Gutachtern zufolge dieses "Dilemma" noch größer.

    Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zeigte sich trotzdem "erfreut" über die Ergebnisse: "Die Praxis geht ausgesprochen zurückhaltend und behutsam mit diesem Instrument um." Soweit das Gutachten Regelungsbedarf aufzeige, "wird dieser durch den kürzlich vorgelegten Gesetzentwurf bereits umfassend berücksichtigt", ist sich die SPD-Politikerin sicher. Dokumentierte datenschutzrechtliche Probleme wie bei der nachträglichen Benachrichtigung Betroffener oder Drittparteien "werden künftig klar geregelt".

    Ganz anders sehen dies die Landesdatenschutzbeauftragten der Länder. Sie haben auf ihrer Jahreskonferenz Ende vergangener Woche in Saarbrücken sich abzeichnende "schwerwiegende Verschlechterungen" im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens scharf kritisiert (PDF-Datei). Es werde diskutiert, die Vorgaben aus Karlsruhe "dadurch zu unterlaufen, dass auch bei erkannten Eingriffen in den absolut geschützten Kernbereich die technische Aufzeichnung fortgesetzt wird". Darüber hinaus werde versucht, den Anwendungsbereich der akustischen Wohnraumüberwachung dadurch auszuweiten, dass "auch nicht strafbare Vorbereitungshandlungen einbezogen werden." Auch dies widerspreche den Vorgaben des Grundgesetzes und verwische die Grenzen zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr.

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    "Ich bin unschuldig, ich bin Amerikaner"

    Zitat:

    Baphomet's Fluch 1

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